An Land wurden wir in kleinere Gruppen aufgeteilt. Meine sollte zuerst die Stimmung der Stadt erspüren dürfen. Die italienische Leiterin führte uns mehr als sie erzählte und das war gut so.
Es gab überwältigend viel Kunst. Eine unvergessliche Episode aus einem Globibuch (Scheiz. Werbefigur, blauer Vogelmann mit Karohose, Hauptfigur in unzähligen Kinderabenteuerbüchern) meiner Kindertage tauchte sogar auf, der Glockenturm mit den bronzenen Männern, welche die Stunden mit grossen Hämmern auf eine Glocke schlugen.
Aber das war nur eine von unzähligen Schönheiten. Ich staunte und war hingerissen. Faszinierende Skulpturen, Fassaden und Geschichten umgaben uns von allen Seiten. Es gab weder zu viele Touristen noch Tauben und es stank auch nicht aus den Kanälen.
Die kunstvolle Szenerie wurde immer wieder durch schön maskierte und farbig kostümierte Einzelmasken belebt. Nicht selten stimmte die ganze Maskerade perfekt bis hin zu den Schuhen. Die Karnevalsfiguren spazierten einfach so durch die Stadt, manchmal auch in kleinen Gruppen oder zu zweit, scheinbar ohne Ziel. Nur ab und zu blieben sie stehen, um sich fotografieren zu lassen. Das ganze geschah still. Nicht ein Tönchen war zu hören. Das war sehr ungewohnt für mich, die Fasnacht mit Pfeiffen, Tambouren und „Guggemusig“ verbindet. Die Stadtführerin sagte, dass es nur eine Regel beim Kostümieren gebe: man dürfe die Person darunter keinesfalls erkennen.
Weitere Erklärungen folgten und ich fotografierte so viel ich konnte. Vergessen waren die Beschwerden. Meine Nordic-Walking-Stöcke waren mir mehr ein Hindernis als eine Gehhilfe, es war um die 15 Grad Celsius warm und ich geriet ins Schwitzen in meinem schönen, neuen Mantel. Aus Vorsicht hatte ich an diesem Tag die selbstgemachte Maske und das Zubehör nicht mitgenommen. Eine Ahnung sagte mir, dass so etwas Einfaches, offensichtlich Selbstgemachtes hier wohl fehl am Platze sein könnte.
Gegen Mittag erhielten wir einen kleinen Imbiss mit verschiedenen Weinen aus dem Veneto; diese schmeckten köstlich, sogar der Weisswein war süss und schwer. Die Gesellschaft war gut und der Begriff „Zeit“ hatte keinen Zugriff mehr auf mich. An grossen Tischen wurde bald munter schweizerdeutsch geplaudert und gelacht. So hatte ich mir immer das schöne Leben vorgestellt. Sie nicht auch, liebe Leser und Leserinnen?
Nach dem Geniessen folgte eine etwas ausführlichere Stadtführung: diesmal wurde zugegeben, dass man Donna Leon kenne und auch lese, dass alle Abwässer an Land gepumpt würden, dass das Leben in der Stadt zu teuer sei und dass auch sonst einiges mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen werden müsse.
Ich fragte mich, ob es nicht genau diese Fähigkeit war, das beifällige Achselzucken, die den Charme des südlichen Lebensstils ausmachte. Mir fehlte diese Grandezza im Umgang mit Missständen ganz eindeutig.
„Ach, könnte ich mir nur ein Stück davon abschneiden!“